Plätzchen

Die Teigrolle die zwischen uns hin und her gerollt wurde, war der wichtige Teil unseres Gesprächs ohne Worte. Der rohe Teig war unsere Verbindung, eingeschneit mit Mehl in diesem schweigenden Moment. Dazu die Musik deiner Hände, die mir das Gefühl gab dein Komplize zu sein. Diese Fährte die deine Fingerspitzen im Mehl hinterlassen haben! Als ob zwei Tiere im Schnee getanzt hätten, bis du die beste Stelle gefunden hast, um dort ein Plätzchen auszustechen, aus dem Grundteig und dem sandigen Geräusch zu dem sich Sterne bildeten. Wir haben gelacht, als ob deine Hände einen Witz erzählt hätten, und vielleicht weil alles was du da getan hast, dass das vielleicht ein Gleichnis war, in dem das Mehl die selbe Bedeutung hatte, wie der Schnee, der im selben Moment vor dem Fenster rieselte, während die Schuhabdrücke der Menschen ebenso Plätzchen aus den weißen Straßen gestochen haben. Wie sich so alles verkleinert hat, uns uns näher zusammenbrachte, und dann dieser Geruch, der so deutlich machte, wie es überall sein sollte, und ich liebte deine Hände so, so kindlich sehr.

Viele Jahre schmiedeten meine Jugend

Wie langsam die Zeit in der Jugend verging, und wie lange ich ein Teenager war, auch wenn im Rückblick alles so schnell vergangen scheint. Jedes Jahr begann mit einer Geburt im Frühling, dann eine Hochzeit mit dem Leben im Sommer, die langen unsicheren Tage des Herbsts, welche auch als sie noch Gegenwart waren, sich schon fast wie eine Erinnerung anfühlten, und schließlich der besinnliche Tod eines ganzen Jahres, im Winter mit einer Wanderung durch Reihe an Reihe weißer Gräber. So viele Jahre schmiedeten meine rohe Jugend zu dieser alten Seele.

Kindheit – oder die DDR. Part I


Es stellt sich die Frage, wo ich anfangen soll, schließlich bin ich bereits 42 Jahre alt und somit schon eine alte Frau. Aber! Eine alte Frau aus der DDR. Also davon mal ab, dass es mein Heimatland gar nicht mehr gibt und ich somit heimatlos bin, war meine Kindheit grundlegend ganz cool.

Es war nämlich im Gegensatz zu heute ruhig auf den Straßen, da es ja kaum Autos gab. Somit müsste es ökologisch in jedem Fall auch wesentlich gesünder gewesen sein, denke ich. Grüße gehen raus an Bitterfeld.

Die Ruhe galt ja grundlegend auch den Augen, denn so furchtbare Turnschuhe in neonfarben gab es nämlich auch nicht. Wirklich top, mal ernsthaft, die Dinger sehen doch einfach nur kacke aus.

Mit ein wenig Überlegung gab es prinzipiell gar keine Farben in der DDR, wobei das auch nicht stimmt, denn unsichtbar waren wir nun auch nicht. Wir waren grau, okay und schwarz und weiß. Aber andere Farben gab es wirklich nicht. Ich schwör!
Für alle, die selbst aus der DDR kommen, ein wenig Ostalgie, für alle, die nicht aus schwarz-weiß-grau kommen, ein Erfahrungsbericht. Ich bitte zu berücksichtigen, dass ich zum Zeitpunkt der Wende elf Jahre alt war und dementsprechend keine negativen Erfahrungen mit der Stasi und Co gemacht habe und somit auch nicht thematisieren kann.

1. Fahnenappell

Warum, wann genau und wer den Fahnenapell zu verantworten hatte, kann ich aus heutiger Sicht gar nicht sagen. Ich kam verträumt wie eben kleine Mädchen zwischen 2 und 99 Jahren so sind zur Schule und es war Fahnenapell bevor die Schule begann. Heute frage ich mich, ob das zeitlich dann früher war als der Schulbeginn? Da ich keine Uhr hatte (obwohl es die nun gegeben hätte, wenn auch in schwarz-weiß-grau) bleibt mir das bis heute ein Rätsel. In jedem Fall gab es ja zehn Klassen mal zwei Kurse mal 30 Schüler. Zumindest in meiner Erinnerung. Macht dann mal schlappe 600 Schüler, die sich auf dem Pausenhof sammelten. Irgendwie muss das Ganze ein System gehabt haben, welches sich mir in meiner unbedarften Kindheit echt nicht, nein nie erschloss. Irgendwie wuselten alle herum, irgendwer sortierte alle Kinder nach:

– top gebügelter Pionierbluse mit Halstuch – nach vorn!

– fast top gebügelter Pionierbluse mit Halstuch – nach vorn!

– joar gut gebügelter Pionierbluse mit Halstuch – zweite Reihe!

– jaor einigermaßen gebügelter Pionierbluse mit Halstuch – dritte Reihe!

– waaaas? Scheiße gebügelte Pionierbluse mit Halstuch – 12. Reihe!

– MEINE NICHT GEBÜGELTE PIONIERBLUSE MIT HALSTUCH – Ab nach ganz hinten!!!

Okay, ich war also das Kind, das immer in die aller-aller-allerletzte Reihe musste, weil ein derart beschissen aussehendes Pionierhemd mit Halstuch mal gar nicht ging. Ich frage mich bis heute, wer mich da eigentlich ausmusterte und in die letzte Reihe schickte. Ich bin definitiv nicht nachtragend, aber das hätte ich gern gewusst. Und so stand ich wohl Minimum sechs Jahre immer! ganz hinten, bekam nichts mit und hörte nur zu Beginn der heiligen Zeremonie:

»Für Frieden und Sozialismus. Seid bereit«, riefen die Apell Leute da vorn über ein quietschendes Mikro, gesehen habe ich ja nie jemanden. Ich stand ja ganz hinten. Prinzipiell könnte man sagen, dass ich das Außen gesichert habe. Vielleicht hatte ich ja eine strategisch wichtige Rolle. Darüber muss ich nachdenken.
»Immer bereit« (Das haben wir Pioniere gemeinsam laut, mit glockenheller Stimme geantwortet.)
»FDJ-ler Freundschaft«, riefen die vorn wieder.
»Freundschaft«, grunzten die FDJ.ler in tiefem Bass, was ziemlich cool klang. Wir alle wollten FDJ-ler sein.
 
Coming soon. Part II – Milchmeer

Verrückter Affen-Sex

Wir hatten diesen verrückten Affen-Sex, bei dem zuerst alle Systeme heiß laufen, bis man schließlich in sich zusammenbricht, und dann wieder endlich beruhigt. Manchmal ist die Seele wie eine unruhige Wasseroberfläche, und um sie in eine friedliche Glätte zu versetzen, muss man umgekehrt diesen Stein in sie hineinwerfen, ihn quasi herausfangen, der einen zuerst so unruhig gemacht hat. Weil wir auf tiefster seelischer Ebene eben doch diese Kinder sind, im Inbegriff eines ewigen Wartens auf etwas, das uns erfüllt. Und manchmal werden unsere Körper ganz kurz, wenn jemand die Gelegenheit erkennt, ein einziges unglaublich feinjustiertes Instrument zum Auffangen dieses alten, immer wieder verdrängten, verneinten, bestrittenen Begehren, das wir doch so sehr brauchen, weil wir nur in den Momenten nach diesem Sturm, dem ewigen Wollen und Erträumen, wenn wir uns müde geliebt und dabei gelitten haben — wir nur in dieser friedlichen Erschöpfung unsere eigene Mitte erkennen, nach einem langen Gang durch die geheimste Leidenschaft, die uns immer etwas selbst erschreckt, weil es so ein altes Gefühl, in einem so jungen Körper ist.

Der Bass der Vergangenheit

Mutter fürchtete sich ein bisschen, als ich ihre Stereoanlage über Bluetooth mit meinem Smartphone verband. Was da aus Ihren Boxen kam, war weder Radio noch Ihre CD-Sammlung. Was also war es? Geisterhaft wechselten die Lieder, von denen sie die Alben gar nicht besaß, und ich fühlte mich wie ein mächtiger Klangschamane, der die Geistwelt der 70er in ihr Wohnzimmer invozierte, wo der Bass der Vergangenheit, ihre Vase auf dem Küchentisch in Besessenheit von Jethro Tull’s spiritueller Energie vibrieren ließ.