Weil ich hier manchmal Dinge schreibe: Meine Mutter ist übrigens auch kein schlechter Mensch. Ja, sorry. Das Leben ist komplizierter als das. Es gibt nicht immer nur schwarz und weiß. Die ging an so vielen Sachen kaputt. Das ist keine Entschuldigung. Es gibt nie eine Entschuldigung für das eigene Verhalten. Aber ich verstehe sie. Ihre Mutter hat sie als Kind gegen die Wand geworfen. Sie musste als Kind hungern. Sie musste in einen Kübel scheißen. Sie hat ihr den Arm mit einer Bratpfanne gebrochen. Sie zerbrach daran, als mein Vater von der Polizei abgeholt wurde, sie schwanger war, und versuchte dem Auto hinterherzulaufen. Ihr tut heute auch sehr vieles leid. Und jetzt wo ich es nicht mehr brauche, würde sie alles für mich tun, weil sie das Gewissen plagt, weil sie es besser machen wollte. Gerade habe ich hemmungslos gelogen. Scheiß auf meine Prinzipien. Ich habe sie umarm und ihr gesagt, dass sie eine gute Mutter ist. Heute stimmt das auch irgendwie. Weil sie eine alte Frau ist, und ich möchte, dass sie ihren Frieden hat. Weil ich kann, und weil das mit mir alles enden soll. Leben ist kompliziert. Die meisten von uns müssen mit diesen Grauzonen leben. Und ich wähle den Frieden. Sei nicht immer nur wütend, weil du nie ein Kind warst.
Sprachlosigkeit
Umso mehr man zu sagen hat, desto weniger kommt manchmal aus einem heraus, weil man sich hastig an den Worten verschluckt, wie an zu großen Bissen. Etwas von zu großer Bedeutung schnürt einem die Kehle zu. Auf einmal ist es, als ob man die eigene Sprache vergessen hätte. Als ob Worte nur noch ausgestorbene Phantome wären. Es drückt im Herzen, aber der Mund gibt dem keine Gestalt. Die Worte fließen stattdessen rückwärts, und drängen immer tiefer in einen hinein, verbergen sich wie ein ängstliches Tier. Ich hasse es, wenn das passiert, wenn mir von dem Reichtum, mit dem ich etwas sagen könnte, nichts mehr übrig bleibt, weil mir die Sprache zu weit entfernt erscheint. Ich fühle wie die Worte in meinem Mund ersticken. Am Ende ist es ein hilfloses Zusehen, wie alles von dieser Unruhe aufgefressen wird, die keine Stille sein will, aber auch kein Wort erlaubt. Manchmal verfalle ich dann in einen irrsinnigen Aberglauben, wie ein Kind, dass man vielleicht meine Gedanken lesen könnte, aber das einzige was redet, sind meine Hände, die Worte aus der Luft greifen, und in ihrer Sprachlosigkeit zerdrücken.
Mr. Wackelauge und Mrs. Sexerzwingerin. Part VIII
Das mit der blöden Weinbestellung musste sie irgendwie souverän meistern, wobei er sehr genau wusste, dass sie den verdammten Namen des Weins nicht aussprechen konnte. Orrrrrrrrrrrrr, es war zum Verzweifeln. Für ihn wäre es sicher ein leichtes, schließlich war er der Pinguin, der ebenfalls Gäste bediente. Aber nein, von ihm kam nichts, was er später noch bitter, bitter bereuen würde, sie würde es ihm heimzahlen. Engelchen und Teufelchen reckten beide die Faust in die Luft. Alle drei waren sich also einig. Yes! Rache war ab sofort Teil des Plans. Hatte sie erwähnt, das bitter bereuen bei ihr eine eigene Dimension war?
Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Nickte ihm noch ein letztes Mal dominant zu, er solle doch bitte, bitte was sagen, weil er es sonst bitter, bitter … na ihr wisst schon.
Aber!
Er schmunzelte sich einen wie doof, seine Mimik verriet ihr ganz klar, sie würde hier keine Unterstützung bekommen. Sie verlor sich in Mr. Wackelauges himmelblauen Augen, hielt seinen schon lachenden Blick und nuschelte voller böswilliger und wissentlicher Absicht:
»Eine Flasche Château Vieux Coutelin«, was ungefähr so klang: »eine Flasche Schatooo Fiiiiöx Kautellinn« Sie tat großzügig und alle Weine dieser Welt kennend und setzte sie ein:
»Der 2011-er. Natürlich«, hinterher und brachte ihre Bestellung zu Ende. Selbstgefällig zog sie eine Augenbraue nach oben, während Mr. Wackelauge erneut vor nem fetten Lachkrampf stand.
»Ich wette er hats verstanden«, zischte sie ihm zu.
»Nie im Leben«, raunte er halb hustend, halb sprechend in ihre Richtung.
»Und ob«, presste sie selbstbewusst hervor, während sie vom Kellner hörte:
»Ähm, entschuldigen sie bitte, aber ich habe sie nicht verstanden. Welchen 2011-er wollten sie bestellen«, allein an seiner Tonlage erkannte Nadine, dass Mr. Wackelauge Recht hatte.
»1:0«, flüsterte sie mit bösem Blick in seine Richtung, nahm die Karte, schlug die Seite mit dem Kautelliiiinnnn auf und zeigte mit dem Finger drauf.
»Sehen Sie, den hier. Eine Flasche mit«, sie unterbrach kurz und sah ihre Begleitung an, er schaute sie aus Tränengeschwängerten Augen an. »Rotwein, Darling«, fragte sie ihn und er nickte nur lachend. »Mit zwei Gläsern, bitte.«
Der Kellner nickte und neigte seinen langen Oberkörper erneut etwas zu ihr herunter.
»Und entschuldigen sie bitte, dass ich sie akustisch nicht verstanden habe«, damit drehte er sich auf dem Absatz und verschwand in den größeren Teil des Restaurants. Neben ihr prustete Mr. Wackelauge ungehemmt los.
Sie sah ihn an …
»Du hättest mir helfen müssen«, gluckste sie in seine Richtung. Leider war sie so überhaupt nicht nachtragend, was ne beschissene Eigenschaft. Sie wäre jetzt zu gern ne nachtragende Furie. Aber nein …
»Das war ne Steilvorlage, ich wollte sehen, wie du das meisterst«, brachte er noch immer lachend hervor.
»Gib es zu, meine Idee war genial«, wollte sie von ihm wissen. Engelchen und Teufelchen standen ganz weit am Rand beider Schultern, die drohende Faust in seine Richtung gereckt.
Er nahm ihre Hand, seine Finger hoben erneut ihr Kinn an, so, dass sie ihn anschauen musste. »Es ist mir egal, dass du diesen armen Kellner so verscheißerst, dass er sich noch schlecht fühlt und sich bei dir entschuldigt. Es ist mir auch egal, ob es hier noch Wein, Steak oder Kerzenlicht gibt«, mahnte er fast ernsthaft.
Erwartungsvoll sahen ihn drei Augenpaare an, wobei Engelchen etwas kleiner war, vielleicht hielt sie auch Augenkontakt zu seinen Schlüsselbeinen, überlegte Nadine. Teufelchen und sie standen in jedem Fall in Kontakt, jawohl.
»Du bist zum Niederknien, Weib. Ernsthaft. Ich habe noch keine Frau kennengelernt, die so ist wie du«, brachte er hervor.
Okay, das Erdnussphänomen setzte wieder ein und ihr Hirn schrumpfte. Verwirrt sah sie ihn an …
»Was ist …«, fragte er angespannt.
Keine Reaktion.
»Verstehst du mich und das, was ich gesagt habe«, setzte er besorgt hinterher …
»Akustisch schon«, flüsterten Engelchen, Teufelchen und Nadine uni sono.
Komplimente die unsere Oberflächlichkeit verbergen
Menschen die von der Allgemeinheit als nicht oder nur mäßig attraktiv empfunden werden, müssen uns bei einem Kennenlernen erst von ihren guten Eigenschaften überzeugen, während es schöne Menschen völlig aus der Hand legen und uns überlassen können, diese guten Eigenschaften für sie zu entdecken, egal ob sie wirklich vorhanden sein mögen. Wir interpretieren sogar solche Züge an ihrem Verhalten als sympathisch, die wir sonst niemals dulden würden, weil Schönheit als eine Form von Macht empfunden wird, an der alle ihren passiven Anteil wollen. Es ist uns wichtig, dass uns schöne Menschen als ebenbürtig empfinden, weil es in den Augen der anderen immer das Versagen des weniger Schönen bleibt, von Personen nicht gemocht zu werden, die ausreichend anziehend sind, dass es für sie schon ausreicht bloß still bei Tisch zu sitzen, damit andere meinen die Klugheit in ihren Augen lesen zu können, weil Schönheit im mehrheitlichen Glauben alle anderen Talente in sich bindet. Sogar wenn sie völlig passiv bleiben, komplimentieren wir ihnen mit großem Eifer für alle möglichen guten Eigenschafen, weil wir uns sehr bemühen tiefgründige Komplimente zu finden, die unsere Oberflächlichkeit verbergen. Wir versuchen Schönheit durch Komplimente zu zähmen, weil sie uns wie wählerischer Adel erscheint. Und genau wie bei Reichtum gilt eine gewisse Diskretion, sie nicht direkt auf ihre Wohlhabenheit anzusprechen, sondern kreativere Gründe zu finden, um nicht vulgär und bittstellend zu erscheinen.
Die Unschuld wie eine Nadel fallen hören
Am schlimmsten ist das Gefühl aus heiterem Himmel wieder ein Kind zu sein. Diese Kinderangst, die nichts mit den Ängsten eines Erwachsenen zu tun hat, sondern aus einem viel älteren Gemüt heraus. Etwas das man so tief fühlt, wie von ihrer natürlichen Angst vor Dunkelheit heimgesuchte Kinder, und diese Angst reicht bis an deinen Urgrund, von dem du gar nicht mehr wusstest, dass so etwas in dir noch existiert, dort wohin man sich nur grundlos hinabweinen kann. Dann verbinden sich Erinnerungen mit dem Gefühl: Einzelne Tränen wie Beistriche aus dem Nirgendwo. Ich kann die Flügelschläge ihrer kleinen Dämonen hören. Ich wachse über dieses Labyrinth hinaus, und doch reicht es mir bis an den Hals. Nur mein Kopf ist erwachsen, aber meine Füße versinken in der Vergangenheit. Nass vor Kindertränen in einem tiefen Morast der Verletzlichkeit. Man kann die zerbrochene Unschuld wie eine Nadel fallen hören. Mir fehlen die Erklärungen für diese Schatten die mich verfolgen. Für die kleinen Nadeln die in mein Herz stechen.
Rückblicke als Erwachsener
Meine Kindheit war kein Zuckerschlecken. Meine Mutter hat mich sehr oft gedemütigt, auch vor anderen, und als jemand fragte „Warum bist du so gemein zu deinem Kind?“ sagte meine Mutter nur „Ich will eben Spaß haben.“ Die andere Person sagte dann: „Wenn du ihn weiter so behandelst, könnte er gefährlich werden. Der bringt dich irgendwann um, wenn du so weiter machst.“ (Kein Kommentar dazu) Und meine Mutter meinte: „Nein, mein Kind verzeiht mir. Der vergisst das alles. Das ist egal.“ Entsprechend verhaltensgestört war ich dann auch als Kind. Und auch wenn Gewaltverbrecher in der Zeitung waren, zum Beispiel einer der seiner Mutter den Kopf abgeschnitten hatte“, zeigte sie mir sofort sein Bild und meinte: „Der sieht aus wie du! Ich hab Angst, dass du genauso wirst. Bitte schneide mir nicht den Kopf ab.“ (Kein Kommentar) Von all den Schlägen die ich bekommen habe, war die psychische Misshandlung am Schlimmsten.
Mir wurde immer eingeredet, dass ich schlecht wäre. Das ich gefährlich bin. Und es hat lang gedauert das in meinem Kopf gerade zu rücken. Dazu muss man aber auch sagen, nicht, dass das eine Entschuldigung wäre, dass meine Mutter selbst noch viel schlimmer, von ihrer Mutter misshandelt wurde. Wie die meisten Eltern hat sie das weitergegeben, was sie selbst erfahren hat.
Und jetzt, selbst erwachsen und nichts vergessen, kämpfe ich um den letzten Frieden mit meiner Mutter. Weil sie meine Mutter ist. Leben ist komisch.
Mr. Wackelauge und Mrs. Sexerzwingerin. Part VII
Ich will Sex. Jetzt!
Aber das Steak …
»Du hattest doch heute Mittag schon ein Steak, ein beschissen schmeckendes, ja, aber es hatte enorm Punkte«
Ich will Sex. »Jetzt auf diesem Tisch!«
Du hast aber noch 16 Punkte über. »Du liebst Rotwein und Steak dazu!«
Irgendjemand störte diesen ausufernden inneren Monolog. Sie spürte die Vibration an ihrem Körper, vernahm auch das erneute, wirklich nervige Räuspern des Kellners und sie versuchte ja ins Hier und Jetzt zurück zu kehren.
Sex!
Steak …
»Sex!«
Steak …
Riesige blaue Augen sahen in ihre. »Würdest du bitte irgendwas bestellen«, presste er hervor und Nadine verstand mal gar nicht, warum er so angespannt auf sie wirkte. Was war denn passiert?
Nadine neigte ihren Kopf langsam zur Seite und dann etwas nach oben, um dem Kellner in die Augen zu sehen. Der Typ war doch völlig verwirrt, wie schaute er sie denn an? Der dürfte hier gar nicht arbeiten, dachte sie.
Sie schaute Mr. Wackelauge an und flüsterte ihm zu, dass dieser Typ in ein Betreutes Wohnen gehörte, aber nicht in ein so renommiertes Steakhaus, da hörte sie von ihm …
»Habe ich sie richtig verstanden, sie hatten heute schon ein Steak, was ihnen nicht schmeckte, weil es Punkte hatte?« Er sah sie irgendwie voll komisch an.
»Sie lieben Rotwein zum Steak und wollen alles jetzt auf den Tisch haben und der Rest galt wohl ihrer Begleitung nehme ich an.« Nadine war völlig überrascht, Euphorie schoss durch ihre Adern, schließlich war er der erste Mensch, der ihre Gedanken lesen konnte!
Krasser Scheiß …
»Mr. Wackelauge«, schrie sie ihn begeistert an. »Er kann meine Gedanken lesen! Ich bin völlig beeindruckt«, freute sie sich.
»Wow … er kann Gedanken lesen«, jubelte sie.
»Du hast laut gedacht, Sexerzwingern. Das ist alles«, presste er hervor, seine Mundwinkel zuckten schon wieder.
Nadine sah den Kellner an. »Laut gedacht«, fragte sie ihn und er nickte.
Scheiße …
Hörte das mit den Peinlichkeiten denn gar nicht mehr auf? Eigentlich würde sie jetzt gern Arschloch denken, hatte aber echt Schiss, dass sie wieder laut denken könnte und sich irgendwer angesprochen fühlte. Sie fing also laut an zu denken. Das! war wirklich krass.
Völlig cool, bestellte sie ein 300 Gramm Angus Rinderfilet, medium verstand sich. Scheiß auf die Punkte, dachte sie, da das viele Peinliche heute sicher viiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiel Energie kostete.
Mr. Wackelauge bestellte sich ein ähnlich gutes Stück Fleisch und dann kam die Frage, die sie back to Basic brachte. All ihre Ängste herauf beschwörte und sie grundlegend echt zur Idiotin degradierte.
Der Kellner fragte …
»Und was darfs zu trinken sein?«
Mr. Wackelauge und Mrs. Sexerzwingerin. Part VI
Schnell rutschte er direkt zu ihr heran. Joar … gefiel ihr hervorragend. Die Idee mit dem Sex auf dem Küchentisch drängte sich ohne Vorwarnung in ihr Hirn zurück.
Er hielt die ganze Zeit Augenkontakt und Nadine bemerkte, wie sie ihre Augen in Zeitlupe immer weiter aufriss, während ihre Lippen immer schmaler wurden und sich zu einer dünnen Linie formten.
»Du siehst wie ein potentielles Opfer aus einem Horrorfilm aus«, flüsterte er mit jetzt ebenfalls weit aufgerissenen Augen.
Er grinste …
»Du siehst nicht wirklich besser aus«, flüsterte sie ebenso leise zurück.
»Selber Opfer«, provozierte sie.
Er nickte wissend, sein Lächeln blieb.
Nadine verlor sich in diese jetzt riesigen Augen von Mr. Wackelauge und sie glaubte erneut daran, dass sich diese wundervollen blauen Kugeln 360 Grad drehten. Da war es wieder, dachte sie. Sie war am verrückt werden.
Hätte sie situativ echt schlechter treffen können …
»Ist. ES. noch. da.«, flüsterte er völlig amüsiert und noch leiser als zuvor. Offensichtlich stand er vor einem Lachkrampf, denn er zog zwanghaft seine Wangen nach innen, um nicht losprusten zu müssen.
»Jaaaaa«, schnaufte sie.
»Dir scheint der Ernst der Lage nicht bewusst«, nickte sie ihm todernst entgegen.
»Hm, Mrs. Sexerzwingern, was tun«, fragte er mit noch immer viel zu wenig Ernsthaftigkeit, fand Nadine.
»Du bist der Mann. natürlich musst du nachschauen«, flüsterte sie ungeduldig.
Er fixierte ihren Blick und war anscheinend heldengleich entschlossen, denn seine rechte Hand verschwand aus ihrem Blickfeld. Sie neigte ihr Kinn ein wenig und blickte der verschwunden Hand hinterher. Seine Hand wanderte auf ihren Oberschenkel.
»Andere Seite«, zischte sie. »Ok ok«, konterte er. Sie bemerkte die kleinen Nuancen seiner Berührungen, auch er hatte anscheinend Respekt vor dem Unbekannten.
Beide sahen sich an und er senkte seine Hand auf …
»Aaaahhhhhhhhhhh«, fuhr Nadine erschrocken zusammen.
»Tscht … ganz ruhig«, flüsterte er, seine linke Hand legte er unter ihr Kinn und hob es etwas an.
»Was ist es«, wollte sie von ihm wissen.
»Das!«, setzte er an und verfiel in eine opulente, ja melodramatische Pause …
(Länge der Pause für den Leser dargestellt.)
»ist mit Abstand die lustigste Aufforderung zur sexuellen Belästigung, die ich je erlebt habe«, feixte er.
»Bist du bereit dem Übeltäter ins Auge zu schauen«, fragte er gespielt heroisch. Nadine nickte nur noch, da sie nervös war, was jetzt kommen würde.
»Bereit«, vernahm sie von ihm und musste sich zusammenreißen, jetzt nicht ungeduldig zu werden und ihn anzuzicken.
Nun mach schon … zickten Engelchen, Teufelchen und natürlich sie selbst. Alle drei überlegten, wie sie ihn gleich anfallen würden, wenn er jetzt nicht mit der Sprache rausrückte.
***
Aus dem nichts riss er eine dritte Hand unterm Tisch vor und Nadine schrie wie am Spieß, während er sich vor Lachen nicht mehr einbekam. Er sah sie durchdringend an, schüttelte leicht seinen Kopf und prustete aus voller Seele, was sie irgendwie irritierte und auch verärgerte.
Da tatschte jemand Fremdes sie unterm Tisch an und er … lachte?
Sie zog ihre Augenbrauen tief nach unten, ihr Verstand setzte ein und sie begann damit die böse Hand zu begutachten. Als erstes stellte sie fest, dass die Hand in dem gleichen Langarmshirt steckte wie ihre Arme.
Nadine und der schrille Schrei verstummten.
Sie musterte die fremde Hand und erkannte ihr eigenes Armband aus Silber … seine Worte hallten nach. Was genau war es? Ihr Hirn rotierte und dann fiel es ihr wieder ein. Mit Abstand die lustigste Aufforderung zur sexuellen Belästigung, die er je erlebt hatte?
Sie sah ihn an, er lachte. Tränen rannen aus seinen Augenwinkeln, seine Haut rotgefärbt von den positiven Emotionen. Er sah toll aus, dachte sie. Nadine blickte auf ihre Schultern. Engelchen heulte riesige Krokodilstränen vor Scham und Teufelchen lachte sich schallend kaputt.
Diese Form des Blamierens würde sie als Königsdisziplin bezeichnen. Sie hatte es echt geschafft diese Herausforderung mit Eins plus zu bestehen.
»Es war meine Hand«, stellte sie nüchtern fest. Er nickte lachend, sein Oberkörper neigte sich weit nach vorn. Sein Gesicht tauchte direkt vor ihrem auf.
»Mein letztes Date ist sehr lange her«, sagte sie leise, dennoch selbstbewusst mit einer Prise Humor versehen. Sie wollte, dass er ihre Aufregung verstand, wobei das natürlich total dämlich war, denn Männer schafften es nicht mal, eines der 60 Stücken Butter im Kühli zu finden. Was wusste er schon, dachte sie und senkte ihren Blick nach unten, um diesem Moment zu entkommen. Ha ha ha selten so gelacht …
Als erstes bemerkte sie seinen warmen Atem an ihrem Ohr. Eher ein Rauschen, schnell, denn sein Brustkorb hob und senkte sich noch immer rasant, da er sich voll amüsierte.
Sie hörte, wie seine sinnlichen Lippen sich teilten, glasklar drang sein Einatmen zu ihr durch. Gänsehautwellen fluteten ihre Haut.
»Du bist wunderschön, Mrs. Sexerzwingern«, hauchte er in ihr Ohr, »das und nur das musst du wissen«, setzte er energischer hinterher.
Das wäre, dachte sie, der ideale Moment für die körperliche Liebe auf diesem Restauranttisch. Warum saßen sie denn hier in der Öffentlichkeit? Warum um Himmelswillen wollte dieser verfressene Geist ein Steak verspeisen?
Ihr Hirn setzte aus, als er begann ihr Ohrläppchen wie in Zeitlupe einzusaugen, sie hinterm Ohr zu küssen, dann spürte sie ihn am Bogen ihres Unterkiefers. Er blieb an ihrem Mundwinkel stehen und begann über ihre Lippen zu lecken. Im Schneckentempo, womit er hunderte kribbelnde Ameisen auf ihren Mund hinterließ.
Gerade als sie adäquat antworten wollte, nämlich das Shirt über den Kopf reißen, sich zur Musik tanzend ausziehen und dann ihm die Lumpen vom Leib zu reißen, über ihn herzufallen und endlich diesen verdammten Tisch zu nutzen …
Räusperte er sich?
Häääääää? Was war´n das jetzt fürn Scheiß, dachte Nadine und auch Mr. Wackelauge löste sich nur widerwillig. Beide schauten in das Gesicht des Kellners.
»Was darfs sein, die Herrschaften«, hörten sie hochgeschwollen von ihm.
Liebe aus dem Versagen heraus
Meine Mutter zu besuchen ist wie einen Mantel der Vergangenheit überzustreifen. Das warme Gefühl der eigenen Kindheit nochmal zu erleben. Aber die Erinnerung spielt einem Streiche. Meistens war meine Kindheit alles andere als schön, aber ich erinnere mich nicht so daran, wie sie gewesen ist, sondern so, wie sie hätte sein sollen. Seit ich nicht mehr bei meiner Mutter lebe, habe ich das Gefühl, dass sie mich wirklich liebt. Es sind ihre Verlustängste, die sie dazu bringen sich zu wünschen, dass sie es besser gemacht hätte. Und ich helfe ihr dabei das alles nochmal nachzustellen. Wir rücken an der Zeit herum, und finden ein bisschen näher zusammen. Dabei hilft es auch, dass sie alt geworden, und oft ist sie das Kind und ich der Erwachsene. Ich sage ihr jetzt oft, dass ich sie liebe, und spüre dabei ihr unendlich schlechtes Gewissen. Sie weiß, dass sie alles nochmal so machen würde, und vertraut auf meine Fähigkeit zu verzeihen. So ist das manchmal. Wir lieben die Menschen ohne wirklichen Grund, sondern weil wir in diese Rollen gefallen sind. Also machen wir das Beste daraus. Aber wir lieben uns gemeinsam aus unserem Versagen heraus, und das ist aufrichtig.
Mr. Wackelauge und Mrs. Sexerzwingerin. Part V
Lachend zog er sie in das sündhaft teure Restaurant. Nadine checkte gedanklich den Inhalt ihres Geldbeutels und musste feststellen, dass sie sich das hier definitiv nicht leisten konnte. So ein Steak mit Rotwein kostete mal eben über hundert Euro.
Alternativ, grinste sie lässig, könnte sie ja abwaschen, oder ihren Körper verkaufen. Sie strich den letzten Gedanken wieder. Der Kellner wies beiden den Platz, ein einsamer Tisch in der hinteren Ecke des Nobelschuppens. Spontan dachte sie an Sex auf dem Küchentisch. Spontaner verwarf das Engelchen diese Idee kopfschüttelnd.
»Blöde Kuh«, zischte Nadine. Sie setzten sich und Nadine sah, dass sich das Teufelchen die Hände rieb. Orrrr, worüber freute der sich denn jetzt? Steak? Wein? Sex? Küchentisch? Dass sie Engelchen gerade doof fand? Hörte das Kopfkino auch mal wieder auf? Also irgendwann im Leben?
»Wie heißt du eigentlich«, erstaunt über so viel Geistreiches, lächelten Nadine, Engelchen und Teufelchen souverän in sein wunderschönes Gesicht. Alle drei freuten sich diebisch, dass die Schüchternheit fürs Erste ad acta lag.
»Mr. Wackelauge und du«, fragte er und da war er wieder, der Schalk in seinen Augen. Das konnte er haben.
»Mrs. Sexerzwingerin«, konterte sie und wuchs erneut um drei Zentimeter.
Okay, okay, alle drei wuchsen um drei Zentimeter.
Anscheinend belustigte ihn dieser unfassbar, einzigartige und absolut geniale Konter, denn er vergrub sein Gesicht lachend hinter der Speisekarte. Sie tat es ihm gleich und steckte ihre Nase in die Karte. Als erstes suchte sie einen fruchtigen Bordeaux, der hervorragend zum Steak passte.
»Was trinken wir, Mrs. Sexerzwingerin«, seine Stimme klang leicht. Er hörte sich relaxed und zufrieden an, sie mochte das und fragte sich, ob er, nachdem sie ihn in ihrem Bett hatte, nur noch lallen würde, da sein Entspannungsfaktor ungeahnte Sphären betreten würde.
»Den hier«, Nadine drehte die Karte in seine Richtung und zeigte auf ihre Wahl.
»Welchen«, hörte sie ihn fragen, da er noch immer mit der Speisekarte beschäftigt schien. Nadine schaute auf den Namen des Weines und wusste nicht wirklich, wie der ausgesprochen wurde.
Teufelchen lachte. Prima, ganz klasse.
Château Vieux Coutelin 2011 Sie konnte das schon lesen. Aber wie sprach sie das nun elegant aus, schließlich hatte sie nie französisch.
»Hm«, merkte er an. Sie sah in sein Gesicht. Seine Mundwinkel zuckten.
»Gib zu, du kannst den Namen nicht aussprechen.«
Zugeben oder Abstreiten, überlegte sie kurz, entschied sich aber für Authentizität, schließlich konnte sie die zehn Kilogramm zu viel auch nicht weg atmen. Was wirklich sehr, sehr schade war.
»Erwischt«, gab sie zu und sein Gesicht nährte sich. Er grinste. Ganz kurz vor ihren Lippen hielt er inne.
»Hast du eigentlich eine Ahnung, wie schön du bist … und wie witzig?« Während er sprach, streiften seine Lippen ganz sanft ihren Mund. Würde seine Hand nicht direkt unter ihrem Kinn liegen, würde sie sich reflexartig umschauen, ob nicht irgendeine andere ganz witzige oder schöne Frau hinter ihr saß. Erneut küsste er sie, doch dieser Kuss war bedachter, langsamer und sie irre machend. Sie schmeckte ihn und war versucht, alles um sich herum zu vergessen, als sie etwas auf ihrem Oberschenkel fühlte.
Das ging jetzt aber zu weit. Ähm, zu schnell, denn weit stimmte so nicht, er saß ja fast auf ihrem Schoß.
War das billig oder genial?
Billig oder genial?
Billig oder genial?
Sex auf dem Tisch?
»Was ist«, wollte er von ihr wissen, da er merkte, dass sie stockte.
»Deine Hand auf meinen Oberschenkel«, stotterte sie mehr, als dass sie es normal aussprach.
Sie sah ihm ins Gesicht und bemerkte, wie seine linke und rechte Hand neben seinem Gesicht auftauchten.
»Hä«, jetzt war er verwirrt und es stellte sich die Frage, wessen Hand da NOCH IMMER ihren Oberschenkel streichelte?