Winter in Badisch Sibirien – Part IV

Ich stehe am Hauptbahnhof einer mittleren Großstadt und bin völlig ehrfürchtig, weil ich pünktlich angekommen bin. Harte Geschichte nachdem immerhin Dinosaurier und Bomben gefunden und ganze Loks abhanden gekommen sind. Da willste einmal auf der Rückreise rummaulen, weil die Deutsche Bahn es mal wieder verkackt hat. Und was ist? Sie ist pünktlich. Ich warte also auf meinen ICE, in welchem ich natürlich keinen Platz gebucht habe. Da ich noch vor ein paar Augenblicken davon ausging, dass ich nach Hause laufen würde, schaffe ich die knapp hundert Kilometer auch im Stehen.

Schließlich war ich nüchtern. (kicher)

Jetzt muss ich nur zwölf Minuten warten und da schreibt mir meine Schwester, dass sie ihre Weiterbildung bestanden hat. Wie toll, denke ich und schnappe mir sofort mein Handy, um sie anzurufen. Was nur semi klappt, denn sie geht nicht ran. Ich latsche ein wenig den Bahnsteig hoch und runter, da es kalt ist. Dann die Durchsage. Zug kommt. Perfekt. Just als der ICE einrollt, klingelt mein Handy. 

Schwesterherz! 

Ich gehe ran (logo) und freue mich mit ihr und ihren Erfolg. Sie erzählt mir von der Abschlusspräsentation, vom Lampenfieber, weil sie das zu selten macht und der Freude, dass alles souverän gemeistert zu haben. Ich höre ihren euphorischen Tönen zu und finde nebenbei einen ungebuchten Platz und pflanze mich dahin. Wir reden so eine Minute, da merke ich, dass jemand sich mir annähert. 

Eine Frau. Blond. Um die Mitte fünfzig.  

Ich habe meine Schwester am Telefon und diese Frau fängt an mit mir zu sprechen. Das wirkt komisch auf mich. Ich kann beiden nicht folgen, das ist frustran, aber eigentlich egal. Meine Schwester redet und ich nehme wahr, dass mich die fremde Frau eigenwillig darauf hinweist, dass ich mich im Ruheabteil befinde. 

Aha. 

Ich sage meiner Schwester, dass wir auflegen müssen, und schreibe ihr sofort eine WhatsApp, dass das typisch deutsch ist. Dann fällt mir auf, was ich an der Art und Weise so eigenartig fand. Diese Frau tat bei der Rüge für mich so, als wäre sie dazu gezwungen, mich zu rügen. Getreu dem Motto, ich verstehe ja auch nicht, was das Theater soll, aber ich muss sie drauf hinweisen. 

Was ein Scheiß. 

Ich bin still, schließlich ist es ein Sei-Still-Abteil. Wobei meine linke Hirnhälfte viele kreative Ideen hat, was ich jetzt in dem Abteil tun könnte. 

Gut, wir halten erneut und es steigen zwei Herren in das Klappe-halten-Abteil. Sie setzen sich an so ne Viererkonstellation mit Tisch in der Mitte und der ältere von beiden zückt umgehend Zettel und Stift, um dem Jüngeren was Mathematisches zu erklären. Ich möchte das auch verstehen und so höre ich den beiden aufmerksam zu, bis mir zwei Dinge auffallen:

Ich komme nicht mit, was sich die Herren in den schicken Anzügen erklären, und ich wette, der Jüngere am Tisch auch nicht, obwohl er so tut. 

Das! hier ist das Sei-jetzt-still-Abteil! 

Krass … jetzt warte ich darauf, dass Mutti erneut aufspringt, um den Anzugträgern ebenso verzweifelt und authentisch nahezubringen, dass man hier den Mund halten muss. 

Schließlich findet sie diese Scheißidee hier drin auch ätzend, aber Regel ist Regel. Komme was da will, oder wer!

Oder etwa nicht?

Ich warte so zwei Minuten und denke, dass es jetzt aber Zeit wird, die eiserne Regel hier umzusetzen, aber es passiert nichts. Was macht den Unterschied, frage ich mich und komme fix darauf, dass es die Anzüge sein müssen. 

Ich fühle mich ungerecht behandelt. Was ist schon ein Telefonat im Kontrast zu ewigen mathematischen Erklärungen im Halt-die Fresse-Abteil? Kurz überlege ich aufzustehen und die Dame zu fragen, was nun ist. Ist zwar ne Kackregel, die ihr und mir nicht gefällt, aber nun …

Naja, was solls. Plötzlich sitzt eine super nette Frau neben mir und ich fange ein Gespräch mit ihr an. Natürlich bin ich gezeichnet von den Regeln in diesem Abteil, aber so nach 40 Sekunden ist es mir ganz egal, schließlich dürfen alle anderen ja auch quatschen. Außer die Mahnmeisterin, ich habe angenommen, dass sie den ganzen Abend geschmollt hat. 

Sie wollte die Regeln ja auch nicht, hatte sie suggeriert. Wer weiß, vielleicht haben wir ihr ja über ein Trauma geholfen und ab sofort kann sie im Halt-die Fresse-Abteil ebenfalls mathematischen Kram frönen, oder einfach mit netten Menschen qautschen.

The End (Die Deutsche Bahn ist schuld. Sie war pünktlich, sonst hätte es noch weitere Teile gegeben. So 24.)

Veröffentlicht von Vielverwinkelte

Lyrik berührt Moderne.

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