Das unverstanden Gebliebene und die Erinnerung

Das menschliche Gedächtnis in seiner Funktion ist faszinierend. Manchmal wohnt man Ereignissen bei, in Lebensjahren, in denen man noch nicht begreift, aber der innere Schreiber dokumentiert alles genauso wie es geschehen ist, ob man etwas nun verstanden hat oder nicht. Und weil diese Erinnerung ganzheitlich so intakt ist, stößt man fast unvermeidlich irgendwann wieder in sich auf diesen perfekten Abdruck von Ereignissen, als ob man einen Film sehen würde, und plötzlich wird alles nachholend verstanden was damals geschehen ist. Ich habe in meiner Kindheit so oft erlebt, dass Dinge gesagt oder getan wurden, von denen man meinte, dass ich sie sowieso noch nicht verstehen würde, so als ob es dadurch für mich unsichtbar wäre. Verstanden habe ich sie damals auch wirklich nicht, aber gesehen habe ich dennoch alles. Und nicht selten fällt nun im Rückblick ein Puzzleteil in das andere, und plötzlich betrachte ich alles mit der selben Qualität des Verstehen, als ob ich das alles jetzt erleben würde. Wir unterschätzen den kindlichen Verstand sehr, dass man etwas verstehen müsste, um sich daran zu erinnern. Dabei hatte ich wie fast alle Kinder ein sehr feines Gefühl für Aussparungen, wenn mir etwas entgeht. Jeder Witz, der in meiner Gegenwart gemacht wurde, mit einer schmutzigen Pointe, wurde von mir vielleicht nicht verstanden, aber wohl verstanden von mir wurde, dass da gerade etwas geschehen ist, was über meinen Kopf ging, was gerade deswegen von mir umso mehr verstanden werden wollte. Ich hatte die selbe ehrgeizige Wahrnehmung, wie fast alle Kinder, und habe das unverstanden Gebliebene, mit meiner wachen Erinnerung kompensiert.

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